Stille ist viel mehr als die Abwesenheit von Geräuschen. Sie ist die Ruhe, in der die Kraft liegt. Wissenschaftler haben herausgefunden, wie sich das Gehirn verändert, wenn wir still sind. Eine Spurensuche.
Aus akustischer Sicht ist Stille Schall, den wir nicht mehr hören. Aber viele Menschen empfinden auch die Wälder als still, selbst wenn dort der Wind pfeift und Blätter rascheln. Denn wenn die Außengeräusche abnehmen, wird es auch im Inneren ruhig. Dann öffnet sich ein Raum für Entspannung, der ein wichtiger Gegenpol zu unserer hektischen Welt ist.
Lärm macht krank, Stille entspannt
Wer kennt es nicht: Man läuft an einer viel befahrenen Straße entlang und möchte so schnell wie möglich in eine ruhige Seitenstraße abbiegen. Denn der Lärm führt zu Spannungen. Bernhard Seeber, Professor für Audio-Signalverarbeitung, bestätigt das: „Lärm ist einer der großen Stressfaktoren. Es ist nachgewiesen, dass beispielsweise Bluthochdruck damit zusammenhängt.“ Bluthochdruck wiederum ist der wichtigste Risikofaktor für Schlaganfall. Lärm kann aber auch das Risiko erhöhen, an einer Depression zu erkranken, so die NORAH-Studie.
Stille wiederum entspannt. Sogar mehr als Musik: Herzfrequenz, Blutdruck und Atemfrequenz beschleunigen sich, je schneller ein Musikstück ist. Langsame Musik ist zwar erholsamer, aber sie kommt nicht an die vollkommene Stille heran. Das legt eine kleine italienische Studie nahe. Schon zwei Minuten reichen, um einen Effekt zu messen. Es scheint, als brauche das Gehirn eine Atempause, um ganz abzuschalten. Und zwar ohne Reize von außen.
Stille öffnet die Sinne
Vor einigen Jahren wurde der Flughafen Münchens verlegt. Eine gute Gelegenheit für Wissenschaftler, die Auswirkung von Fluglärm auf Kinder zu untersuchen. Die Ergebnisse: Nachdem keine Flugzeuge mehr über ihren Köpfen kreisten, konnten Viertklässler besser lesen und sich an mehr erinnern. Bei den Kindern, die nach dem Umzug in der Nähe des Flughafens lebten, nahm die Aufmerksamkeit dagegen ab: „Wir denken, dass Kinder, die Lärm ausgesetzt sind, eine Stressreaktion entwickeln. Sie ignorieren aber nicht nur den Lärm, sondern womöglich auch Sprache“, so Professor Evans. Die Kinder machen also dicht. Ähnliche Erfahrungen haben wohl auch viele Erwachsene gemacht, die in Großraumbüros arbeiten.
Die Stille erlaubt uns dagegen, alle Sinne zu öffnen. So kann sie selbst zur Meditation werden: Wer sich ganz auf sein Gehör konzentriert und beispielsweise Vogelgezwitscher oder Blätterrauschen intensiv wahrnimmt, verliert sich nicht in sorgenvollen Gedanken. Er kommt im Hier und Jetzt an und fühlt sich lebendiger.
Tatsächlich fanden Forscher heraus, dass stille Meditation die Emotionsregulation verbessert. Die Probanden fühlten sich ausgeglichener und entspannter. Denn sie haben gelernt, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu lenken und bewusst Spannung abzubauen. Die Wissenschaftler forderten sogar, Meditation als eine eigene Strategie zur Emotionsregulation anzusehen.
Forschung: In der Stille wächst das Gehirn
2013 fanden Forscher heraus, dass sich bei Mäusen neue Nervenzellen bilden, wenn sie zwei Stunden lang von Stille umgeben sind. Vor allem in der Hirnregion, die für Konzentrations- und Gedächtnisleistung verantwortlich ist, nahm die Zahl der Neuronen zu. Sie wurden schnell mit anderen Nervenzellen verknüpft und konnten ihre Funktion aufnehmen. Diesen Effekt brachte selbst entspannende Ambient-Musik nicht zustande.
Die Entdeckung war lediglich ein Zufallsbefund: Eigentlich war die Stille nur als Unterscheidungsmerkmal für die Kontrollgruppe gedacht. Es scheint, als nutze das Gehirn Ruhephasen, um sich neu zu strukturieren.
Unser Gehirn ist nicht für eine laute Welt gemacht. Es stammt noch aus Zeiten, als die Menschen durch die Wälder schlichen und Rentiere jagten. Vielleicht sehnen sich deshalb so viele nach der Stille. Sie ist Teil unseres natürlichen Lebensraums. Zum Glück gibt es auch heute noch stille Orte, an denen wir innehalten können. Bei einem Stille-Retreat können wir ihr noch besser lauschen.